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Zwei Füße in rosa Socken stehen auf einer Waage mit der Aufschrift OMG.

Gewicht und HIV

Die Körpermasse, oder das Körpergewicht, dient als Energiespeicher, aus dem auch geschöpft werden kann, wenn wenig Nahrung zur Verfügung steht. Evolutionär möchte man daher meinen, dass die “eingelagerte” Masse durch auf einem angemessenen Niveau gehalten wird. Aber: Die Situation des Menschen hat sich in den letzten Jahrhunderten in einem evolutionär betrachteten Zeitrahmen rasant verändert. In vielen Ländern dieser Welt ist der Zugang zu hoch-kalorischen, energiedichten Lebensmitteln – wenn man so will „Dickmachern“ – so leicht wie noch nie. Gleichzeitig hat sich der Energieverbrauch in vielen Belangen reduziert: Wir leben in einer, wie es im Englischen so schön heißt, ‘obesogonic environment’, also einer Umgebung, die die Entstehung von Übergewicht und Adipositas begünstigt, weil wir uns durch technische Errungenschaften den Alltag deutlich leichter gestalten können als dies noch vor verhältnismäßig kurzer Zeit der Fall war.

Entstehung von Übergewicht und Adipositas

Aus dem vorherigen Abschnitt geht es bereits hervor und es erscheint auch überaus logisch: Ein “zu viel” an Körpermasse entsteht immer dann, wenn wir dauerhaft mehr Kalorien zu uns führen, als wir tatsächlich benötigen und umsetzen. Die sogenannte Energiebilanz setzt sich daher aus den beiden Komponenten “Energiezufuhr” und “Energieverbrauch” zusammen.

Energiezufuhr

Die Energiezufuhr ist auf den ersten Blick relativ simpel zu erfassen: Sie umfasst all das, was wir tagtäglich konsumieren. Wichtig ist es dabei zu berücksichtigen, dass dies nicht nur Essen, sondern insbesondere auch Getränke miteinschließt.

Viele Getränke sind verhältnismäßig energiedicht, haben also bezogen auf Ihr Volumen eine ziemlich große Menge von Kalorien. Es kommt hinzu, dass sie häufig nicht satt machen – oder nur sehr kurz. Es sind gerade Getränke, die mitunter als “gesund” empfunden werden, die viele Kalorien aufweisen, so z.B. Fruchtsäfte und Smoothies.

Energieverbrauch

Der bewusste Energieverbrauch

Ein Teil des Energieverbrauchs können wir bewusst beeinflussen – durch körperliche Aktivität. Auch wenn wir damit häufig “zusätzliche” Aktivitäten wie Sport meinen, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass wir viele Möglichkeiten im Alltag haben, mehr Kalorien zu verbrennen als unbedingt nötig. Beispiele hierfür sind Treppensteigen statt Nutzung von Rolltreppe oder Aufzug, das Laufen zur U-Bahn-Haltestelle statt den Bus zu nehmen oder nicht an der nächsten, sondern der übernächsten Haltestelle den öffentlichen Verkehrsmittel zuzusteigen.

Der unbewusste Energieverbrauch

Viel Energie verwenden wir bereits einfach dadurch, dass wir so existieren wie wir es tun. Die Aufrechterhaltung von Membranpotentialen, die Tätigkeit der Muskulatur (sowohl die Skelettmuskulatur als auch die sogenannte „glatte“ Muskulatur, die z.B. für die Bewegungen im Magen-Darm-Trakt zuständig ist), sowie die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur sind nur einige dieser Beispiele.

Dieser “Ruheenergieumsatz” ist durchaus relevant – aber nicht in Stein gemeißelt. Besonders in Situationen, in denen die Energiezufuhr reduziert wird, wird auch der Verbrauch reduziert – zum Teil in beträchtlichem Ausmaß. Wie kann man sich das vorstellen? Wenn der Organismus wahrnimmt, dass seine Energiereserven abnehmen, dann wird Energieverbrauch dort gesenkt, wo es ohne größere Probleme möglich ist. So werden z.B. Prozesse heruntergefahren, bei denen sonst Energie in Wärme umgesetzt wird, was zu einer geringen Absenkung der Körpertemperatur führt, die sich aber im Energieumsatz bemerkbar machen kann. Manchmal spricht man in diesem Zusammenhang von „adaptiver Thermogenese“ – also davon, dass der Körper je nach äußeren Umständen in gewissen Grenzen „entscheiden“ kann, wie viel Energie er in Form von Wärme „verschwenden“ kann. Diese „Sparflamme“ des Körpers in Phasen, in denen versucht wird, Fett zu verbrennen führt dazu, dass man in der Regel die tatsächlich umgesetzte Energie in Ruhe überschätzt. Obwohl man rein rechnerisch dann oft einen Zustand erreicht, in dem theoretisch der Energieverbrauch höher ist als die Zufuhr und man folglich abnehmen sollte, spricht die Waage häufig eine andere Sprache und das Gewicht bleibt wie es ist oder ändert sich nur sehr gering – für betroffene Menschen ein frustranes Erlebnis.

Bedeutung der Adipositas

Über Adipositas zu sprechen hat häufig den Beigeschmack eines “kosmetischen” oder „ästhetischen“ Problems und ist selbst bei Ärzt:innen mitunter ein schambehaftetes Thema. Dabei gibt es sehr gute Daten dazu, dass Adipositas zu einer Reihe medizinischer Folgen nach sich zieht. Menschen mit Adipositas sind häufiger von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Gehirns und der Nerven sowie bösartiger Erkrankungen betroffen als Personen mit Normalgewicht. Selbst die Wahrscheinlichkeit im gleichen Zeitraum (z.B. in den nächsten 10 Jahren) zu versterben ist für Menschen mit Adipositas erhöht. Es gibt keinen plausiblen Grund zu der Annahme, dass Menschen mit HIV nicht von diesen Veränderungen betroffen sein sollten.

Adipositas und HIV

Auch bei Menschen mit HIV-Infektion ist davon auszugehen, dass Gewichtszunahme mit einem höheren Risiko für Erkrankungen des Stoffwechsels und des Herz-Kreislauf-Systems verbunden ist. In den letzten Jahren wurde sehr viel zu den Auswirkungen von HIV und HIV-Therapien auf das Körpergewicht geforscht und es wurde klar, dass der Zusammenhang zwischen HIV-Therapie und Gewichtsveränderung komplex zu sein scheinen und eine isolierte Betrachtung einzelner Regime mitunter schwierig ist. Pauschal kann man wohl sagen, dass es möglicherweise Medikamente gibt, die zu einer stärkeren Gewichtszunahme führen als andere.

Eine besondere Rolle kommt dem Beginn der antiretroviralen Therapie beim Menschen zu, die zuvor keine HIV-Behandlung erfahren haben. Man kann sich vorstellen, dass der „Mitesser“ HIV wegfällt. Die Energie, die das Virus zuvor für seine eigenen Zwecke „abgezweigt“ hat, steht nun wieder dem Körper selbst zur Verfügung und wird, sofern überschüssig, eingelagert. Dieses Phänomen bezeichnet man manchmal auch als „return-to-health“ Effekt.

Therapie der Adipositas

Auf die Therapie der Adipositas im Allgemeinen soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden; sie beruht aber auch bei Menschen mit HIV auf den gleichen Grundsätzen wie bei Menschen ohne HIV: Das Verhältnis von Energiezufuhr und -verbrauch muss dauerhaft so modifiziert werden, dass ein Kaloriendefizit vorliegt.

Das benötigte Maß dieses Defizites wird häufig unterschätzt: So bedarf es eines Defizites von ca. 8.000 kCal, um eine Reduktion von 1 kg Körpermasse zu erreichen – als sehr grobe Faustregel.

Die besondere Frage im Kontext HIV bleibt: Trägt die Modifikation der antiretroviralen Therapie relevant zur Entwicklung des Körpergewichts bei? Diese Frage kann abschließend nicht beantwortet werden und hängt von sehr vielen Faktoren ab. Menschen, die den Verdacht haben, dass ihre HIV-Therapie bei der Entwicklung von Übergewicht und Adipositas eine Rolle spielen, sollten dies mit behandelnden Ärzt:innen besprechen.

Fazit

Bei Menschen mit HIV-Infektion spielen Übergewicht und Adipositas wie in der Allgemeinbevölkerung – eine zunehmende Rolle. Adipositas dürfte dabei zu dem ohnehin erhöhten Risiko für Folgeerkrankungen bei Menschen mit HIV beitragen.

Für die Prävention und Therapie der Adipositas gelten auch bei Menschen mit HIV die allgemeingültigen Empfehlungen. Besonderheiten im Zusammenhang mit HIV sind der “return-to-health” Effekt, der beim (Wieder-)Beginn einer antiretroviralen Therapie auftritt, sowie der (mögliche) Beitrag verschiedener antiretroviraler Substanzen zur Gewichtsentwicklung, zumindest in gewissen Personengruppen.

Ganz klar ist jedoch, dass die unterlassene oder unzureichende Behandlung einer HIV-Infektion immer ein viel größeres Problem darstellt als der Beitrag einer Therapie zur Gewichtszunahme, der häufig (sofern überhaupt vorhanden) ohnehin (im Vergleich zu anderen Faktoren) gering ist; im Einzelfall sollten Bedenken und Zweifel jedoch mit behandelnden Ärzt:innen besprochen werden. Auf keinen Fall sollte jedoch die antiretrovirale Therapie ohne Rücksprache abgesetzt oder pausiert werden.

Autor:
Priv.-Doz. Dr. med. Sebastian Noe
med4muc GmbH – MVZ München am Goetheplatz

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HIV und Schlafstörungen

Es gibt verschiedene Formen von Schlafstörungen. Diese können durch ungünstige Lebensgewohnheiten, seelischen Stress, körperliche Erkrankungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln verursacht werden. Es ist wichtig, die Ursache der Schlafstörungen zu identifizieren und ggf. eine Behandlung anzustreben. Menschen mit HIV sollten sich bei Schlafstörungen an ihren behandelnden Arzt wenden und eventuelle Nebenwirkungen von Medikamenten besprechen.

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